Am 5. Oktober 2022 kam es zu einem eintägigen Warnstreik zu dem der Marburger Bund aufgerufen hatte, nachdem die Tarifverhandlungen zwischen Charité und Marburger Bund scheiterten. Fast 1.000 Ärzte der Berliner Uni Klinik nahmen an diesem Warnstreik teil. Wir von Intensiv am Limit waren auch mit dabei. Caro und Tim waren als Redner auf die Bühne. Tims Rede könnt ihr hier nachlesen:

Im Dezember 2021 hat die Aktion „intensiv-am-limit.de“ in einem von mehr als 3000 Ärzten aus ganz Deutschland unterstützten Brandbrief auf die prekären Arbeitsbedingungen in der Intensivmedizin hingewiesen. Persönliche Kontaktaufnahmen zur Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Frau Gote sowie zum Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bleiben bis heute unbeantwortet- ignoriert- ebenso wie unser aller mahnenden Worte der letzten Jahre ignoriert wurden, lächerlich gemacht wurden und vom Tisch gewischt worden sind. „Ärzte streiken nicht“ haben wir oft gehört! Doch wir beweisen heute das Gegenteil!

Ich bin Arzt. Ich bin Intensivmediziner und Notarzt. Mein Name ist Tim Arnold, ich arbeite seit 13 Jahren an der Charite im Bereich der Notfall- und Intensivmedizin. Ich bin Mitbegründer der Aktion „intensiv-am-limit.de“.

Ich liebe meinen Beruf. Ich liebe es Menschen mit meinem Wissen und Können in lebensbedrohlichen Situationen helfen zu können. Ich liebe es in einem Team zu arbeiten, schnelle Entscheidungen zu treffen. Ich liebe es zu sehen, dass unser aller Anstrengung in einer Genesung des Patienten mündet. Ich liebe es jungen Assistenzärzten meine Erfahrungen weitergeben zu können und ich liebe es einfach mal am Bett eines Patienten zu sitzen, ihm Trost zu spenden und zuzuhören. Ich liebe es, einen Patienten nach schwerer Krankheit wieder lächeln zu sehen. Ich liebe meinen Beruf.

Eigentlich. So wie wahrscheinlich alle von euch, die heute hier versammelt sind! 

Aber wie kann ich meinen Beruf lieben, wenn ich aufgrund der immer weiter zunehmenden Arbeitsverdichtung eine adäquate Versorgung meiner Intensivpatienten nicht mehr sicherstellen kann, weil ich müde bin, weil ich ausgelaugt bin, weil ich keine Kraft mehr habe nach Wertschätzung zu lächzen und immer weiter zu machen, durchzuhalten, zu kämpfen und die Zähne zusammenzubeißen.

Wie kann ich meinen Job lieben, bei dem ich mich in Pandemiezeiten selbstverständlich dem höchst denkbaren Ansteckungsrisiko aussetze und als einzigen Dank eine Videobotschaft bekomme? 

Wie kann ich meinen Beruf lieben, wenn jeden Tag neue Dokumentationszwänge und andere Aufgaben einen ohnehin schon überfüllten Tagesplan überfrachten. 

Wie kann ich meinen Beruf lieben, wenn ich regelmäßig bis zu 70 Stunden pro Woche arbeite, mindestens zwei volle Wochenenden im Monat in der Klinik bin und viel zu oft nicht zu Hause bei meiner Familie schlafen kann. Jedes Jahr verbringe ich entweder Weihnachten oder SilvesterPfingsten oder Ostern in der Klinik, ohne dafür eine adäquate Entschädigung zu erhalten.

Wie kann ich meinen Job lieben, wenn ich an Wochenenden und Feiertagen mindestens 13 Stunden pro Tag in der Klinik bin und keine Zeit mehr für meine Freunde und Hobbys habe, wenn ich meine Freundin nur noch von Fotos kenne.

Wie kann ich meinen Job lieben, wenn in einem 17 Stunden Bereitschaftsdienst ständig das Telefon klingelt, weil ich erreichbar sein muss. Wenn ich anstelle der vorgesehenen 8 Stunden Ruhezeit regelhaft nur 2 oder 3 Stunden Ruhezeit habe und dafür nicht mal besser entlohnt werde. Wer kann sich vorstellen, wie es sich anfühlt 17 Stunden mit Tempo 200 über eine volle Autobahn zu fahren, mit voller Fahrt voraus auf eine Hafenmauer zuzusteuern? 

Wie kann ich meinen Job lieben, wenn ich nach 17 Stunden Bereitschaftsdienst sogar noch Minusstundenmache, weil ich erschöpft und müde nach Hause gehen muss. 

Wie kann ich meinen Job lieben, in dem keine Zeit mehr bleibt für Gespräche mit Angehörigen, für die emotionale Begleitung Sterbender oder auch eine persönliche Aussprache mit meinem Team. 

Wie kann ich meinen Job lieben, in dem „work-life-balance“ ein Schimpfwort ist und die Arbeitszeitbegrenzungen für Piloten oder Kraftfahrer müde belächelt werden. Einen Job, der ständig Verantwortung für Menschenleben trägt, dem eine Arbeitszeitbegrenzung aber verwehrt bleibt. 

Wie soll ich einen Beruf lieben, in dem maximale Flexibilität und komplette Selbstaufgabe als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden? Einen Job, der kein planbares Privatleben zulässt, weil man ständig für Dienste einspringen muss. Einen Job, der die höchste Suizidrate sämtlicher Berufe mit sich bringt, in dem Burnout und Depression beinahe immer vor der Rente kommt. Und all das, weil die gut bekannten Belastungen, die seit Jahren angeprangerten schlechten Arbeitsbedingungen und die Forderungen nach tiefgreifenden, längst überfälligen Veränderungen konsequent ignoriert werden. Ich bin an der Grenze meiner Belastbarkeit angekommen, ich bin erschöpft, ich bin frustriert und ich bin noch immer müde von meinem letzten Dienst. 

Die Liebe zu meinem Beruf ist erschöpft. Ich will kein Held mehr sein. Ich habe die Schnauze voll- und wenn sich nichts ändert werde ich unsere Beziehung beenden- meine Liebe ist leider verstorben, alleine, aber gut dokumentiert und abgerechnet.


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